Tischrede von Dr. phil. Eva Herzog, Regierungsrätin Basel-Stadt, am Bärenmähli 2011
Vor etwas über zwölf Jahren, es muss im Spätsommer oder Herbst gewesen sein, sass ich mit Urs Müller vor der Kaserne und er setzte mir die Pläne für den ersten Bärentag auseinander. Neben meinen eigenen Veranstaltungen in der Kaserne war ich für Koproduktionen mit externen Veranstaltern und für Vermietungen der Räumlichkeiten zuständig. Wie wir den ersten Bärentag organisatorisch und finanziell abgewickelt haben, weiss ich nicht mehr ? aber ich weiss, dass es eine erfolgreiche und lieb gewordene Veranstaltung des Kleinbasel geworden ist.
Ich musste Regierungsrätin und erst noch Regierungspräsidentin werden, das war vor gut drei Jahren, bevor ich einige der Basler Bräuche, die in der Regel einheimischen Männern vorbehalten sind, aus der Nähe kennenlernen durfte: diverse Zunftessen und insbesondere das Gryffemähli. Ich fand diese Anlässe interessant. Mir kam es vor, als ob ich als Historikerin quasi Feldforschung betreiben würde, „teilnehmende Beobachtung“, wie das im Fachjargon heisst. Jedenfalls bekam ich einen kleinen Einblick in eine mir völlig fremde Welt. Die Anlässe haben mich fasziniert, vor allem der Vogel Gryff: von der Fahrt auf dem Floss, wo ich um meine Ohren fürchtete wegen der Kanonenschüsse, bis zum Gryffemähli mit dem Tanz der drei Ehrenzeichen. Und ich war auch richtig gerührt, als mir der Wild Maa nach seinem Tanz ein Öpfeli verehrte! Aber Brigitta Gerber und mir, die wir beide im selben Jahr mit dabei waren, sie als Grossratspräsidentin, ich als Präsidentin des Regierungsrates, uns beiden wurden auch die Grenzen unserer Zugehörigkeit aufgezeigt: Man schonte uns vor der Pflicht zu einer Rede … worüber wir uns beide nicht richtig freuen konnten!
Heute sind wir beide hier, Brigitta als aktives Mitglied der Bärengesellschaft, und als sie mich einlud, an diesem Ehrentag des Kleinbasel zu reden, habe ich mich ausserordentlich gefreut. Gefreut, weil mir die Bärengesellschaft am Herzen liegt, die Bärengesellschaft, die nicht nur einem eingeschränkten Kreise offen steht, sondern Frauen und Männern, alt und jung, Menschen mit und ohne Schweizer Pass, welche hier wohnen, arbeiten und Steuern zahlen ? wobei letztere aber nicht mitbestimmen dürfen, leider auch nicht auf kantonaler Ebene.
Gefreut habe ich mich auch, weil der Bär, dieses so männliche Tier, von einer Frau getanzt wird, was mir immer speziell gefallen hat.
Und gefreut habe ich mich schliesslich auch, weil dies immer noch „meine“ Kaserne ist. Wo man einmal herumgerannt ist, Stühle gestellt und abgeräumt hat, Gläser weggetragen und gewischt hat, da wird man nie ganz fremd, auch wenn heute andere das Sagen haben hier!
Vor kurzem sind wir ins Neue Jahr gestartet. Journalistinnen und Politiker haben in den Ausblicken aufs Neue Jahr, in dem ja auch das nationale Parlament neu bestellt wird, nach Themen gesucht. Grundtenor: Schwierig, etwas zu finden! Der Schweiz geht es gut, die Wirtschaftskrise hat weit weniger zugeschlagen als befürchtet. Einzige Bedrohung wegen unserer starken Exportabhängigkeit ist der starke Franken.
Natürlich ist es gewagt zu sagen: „Uns geht es gut!“. Auch viele Menschen in der Schweiz haben ein schweres Schicksal und müssen in prekären finanziellen Verhältnissen leben. Aber verglichen mit anderen Ländern in Europa ist unsere Ausgangslage gut, wir stehen nicht vor der Notwendigkeit, rigide Kürzungsprogramme durchziehen zu müssen. Bedrückend finde ich hier insbesondere den Fall von Spanien mit einer Jugendarbeitslosigkeit von 40%! Das ist unvorstellbar für uns, „generación cero“ hat die Zeitung „El País“ diese Generation genannt, eine Generation praktisch ohne Aussicht auf Arbeit und ein eigenständiges Leben.
Wenn wir wollten, könnten wir uns also darauf konzentrieren, die anstehenden Herausforderungen der Zukunft im sozialen Bereich, in der Ökologie, in der Verkehrsinfrastruktur und insbesondere in der Bildung und Integration aller Menschen unterschiedlichster kultureller Herkunft konstruktiv anzugehen.
Aber das tun wir nicht. Ohne jede offensichtliche Notwendigkeit findet eine Zuspitzung und zunehmende Polarisierung des öffentlichen politischen Diskurses statt.
Kann mir irgendjemand erklären, warum uns plötzlich einzelne Türme, die vielleicht etwas anders gebaut sind, als was hier so üblich ist, stören sollen? Kann mir jemand sagen, warum es möglich ist, dass ein Sachverhalt, der weniger als 1% der ausländischen Bevölkerung betrifft, der gesetzlich ausreichend geregelt ist und wo auch kein Vollzugsnotstand herrscht, zu einem Ausländerproblem hochstilisiert werden kann?
Warum lassen wir es uns gefallen, dass eine Partei in diesem Land, die das Wort „Volk“ immer im Munde führt, unsere weltweit weiterhin hochgeschätzte Demokratie mit Füssen tritt, indem sie uns zu Abstimmungen zwingt, welche je nach Ausgang dem Völkerrecht, dem wir uns auch verpflichtet haben, widersprechen?
Was treibt diese Partei anderes an als die Lust, damit Zwietracht zu säen und sich selber zur Märtyrerin zu machen, mit der einfachen Begründung, dass ihre politischen Siege durch die „classe politique“ unterdrückt würden, wenn dann nicht umgesetzt wird, was nicht umgesetzt werden kann?
Warum kauern wir alle gelähmt wie das Kaninchen vor der Schlange und keines eigenen Gedankens fähig vor dieser Partei und warten auf die nächste Provokation, auf dass uns das nächste Problem genannt wird, das keines ist und erst zu einem wird, wenn wir eben sagen: Das ist kein Problem ? weil man uns dann vorwerfen kann, die Probleme des sogenannten Volkes nicht ernst zu nehmen?
Warum lassen wir uns gängeln von einem Mann, der mit seinem Geld einfach alles verbreiten kann und der eine Politik macht, die überhaupt nicht im Interesse unseres Landes ist, obwohl er dies als Unternehmer besser weiss? Ohne die bilateralen Verträge und den massiven Zuzug ausländischer Arbeitskräfte hätten wir die gute Konjunktur der letzten Jahre nicht ausschöpfen können und würden heute wirtschaftlich nicht so gut dastehen.
Das wissen die bürgerlichen Kreise dieses Landes, das ist in den wirtschaftlich tonangebenden Kreisen bekannt. Warum hat Economiesuisse dann keinen Rappen im Kampf gegen Minarettinitiative oder Ausschaffungsinitiative eingesetzt, aber Millionen für den Erhalt des in unserem Land überbordenden Steuerwettbewerbs? Es wäre alleine schon eine Frage von Prinzipien und Werten ? aber auch von klaren materiellen Interessen unseres Landes gewesen. Natürlich haben sich auch bürgerliche und liberal im ursprünglichen Sinn denkende Menschen mit uns zusammen gegen diese Initiativen gewehrt, das soll hier nicht unerwähnt bleiben.
Die Schweiz ist ein Einwanderungsland. Wir haben ein sehr restriktives Einbürgerungsrecht, was die Zahl der Menschen ohne Schweizer Pass in die Höhe treibt.
Das war nicht immer so. Im 19. Jahrhundert war die Schweiz ein Auswanderungsland. Viele haben ihr Glück im Ausland, zum Beispiel auch in Übersee gesucht – nicht allen ist es geglückt, in Binningen gibt es eine „Amerikanerstrasse“, dort baute man billige Häuser für diejenigen, die mittellos wieder zurückkamen.
Multikulturalität wird unsere Lebenswelt, gerade auch hier in Basel, in den nächsten Jahren weiterhin prägen. Die ausländische Bevölkerung wird für unser Bevölkerungswachstum der nächsten Jahre sorgen, auf das unsere Wirtschaft und unsere sozialen Systeme angewiesen sind.
Basis für ein friedliches Zusammenleben sind deshalb gewisse Werte, die nicht zeitlich und kulturell bedingt, sondern universell und eine zivilisatorische Errungenschaft sind: die Menschenrechte. Wenn sie respektiert werden, dann hat die Vielfalt von kulturellen Ausprägungen und Religionen, die auch unser multikulturelles Basel und insbesondere das Kleinbasel prägen, nebeneinander Platz.
Dann kann geschehen, was der Historiker und Landrat Ruedi Brassel kürzlich in einem kleinen Büchlein über die italienische Einwanderung in Pratteln, der Gemeinde, wo ich aufgewachsen bin, geschrieben hat: „Integration ist ein Prozess, der beide Seiten verändern kann, die an der Begegnung von Kulturen teilnehmen.“ Das klingt einfach, ist es nicht, aber das ist der Kern einer gelingenden Integration.
Wer diese Integration will, der oder die soll mit Secondos und Secondas reden, sie kennen beide Welten, sie können übersetzen.
Und darum muss es doch gehen: zu verstehen versuchen, das Verbindende suchen und nicht das Trennende.
Und damit bin ich wieder bei der Bärengesellschaft und beim Bärentag und will euch nicht mehr länger davon abhalten, miteinander zu reden und genau das zu tun!
Danke für eure Aufmerksamkeit.