Tischrede von Graziella De Barba (Projekt Sprach- und Kulturbrücke) am Bärenmähli 2002
Liebe Freundinnen, liebe Freunde
Ich komme aus einer dreisprachigen Region in Norditalien, wo Italienisch, Deutsch und Ladinisch gesprochen werden. Als Lehrerin habe ich mich immer bemüht, Brücken zwischen den Jugendlichen verschiedener Sprachen und Kulturen aufzubauen, um Neugier auf den anderen zu wecken und Stereotypien durch die gegenseitige Kenntnis abzubauen.
Mit solchen Gedanken und Absichten bin ich 1997 nach Basel gekommen. Meine Aufgabe ist, den Migrantenkindern und -jugendlichen die italienische Sprache und Kultur in den HSK-Kursen zu vermitteln.
Was mich in Basel sofort fasziniert hat, ist – unter anderem – die kulturelle Vielfalt dieser Stadt und dabei die bereichernde Gelegenheit des interkulturellen Dialogs. Dieser Dialog ist aber nicht selbstverständlich.
Im multikulturellen Bereich wurde und wird viel unternommen, aber aus alten Fehlern kann man noch lernen. Die aus den 80er Jahren stammende Ausländerpolitik und das Multikulturalismus-Modell sind gescheitert. Sie postulieren zwar jedem Menschen das Recht auf seine eigene Sprache und Kultur, machten aber zu oft die Kulturunterschiede zu exotischen Klischees.
Statt eines Zusammenlebens gab und gibt es heute noch mit wenigen Ausnahmen nur ein Nebeneinanderleben, wo jede kulturelle Gruppe für sich allein ist. Die fehlende Integration und die mangelnde Ausbildung brachten den meisten Ausländern keinen wirklichen Zugang zu besseren Arbeitsplätzen. Die Arbeiter werden immer noch als Problem angesehen (früher waren es die Italiener, heute sind andere an der Reihe).
Was aber ist Integration? Für mich heisst es, dass ich mit anderen zusammenleben kann. Ich muss mich nicht immer rechtfertigen oder versuchen, mich zu erklären. Ich bin verschieden, aber die anderen auch. Manchmal gibt es auch wahnsinnig grosse Unterschiede zwischen mir und meinen Landsleuten. Integration heisst nicht Anpassung.
Seit 1999 hat Basel ein sehr innovatives Integrationsleitbild (von Dr. R. Ehret). Dadurch wird ein neues Bewusstsein geschaffen, dass die Ausländerlnnen nicht nur eine Belastung, sondern auch ein Potential sind. Es legt grossen Wert auf einen bewussten und sorgsamen Umgang mit der kulturellen Vielfalt. Dieser Bewusstseinsprozess hat begonnen, aber es gibt noch viel zu tun, und die Schule ist meiner Meinung nach der geeignete Begegnungsort.
Hier soll der interkulturelle Dialog praktiziert werden, sodass den Jugendlichen die Unterschiede und die Ähnlichkeiten zwischen den Sprachen und Kulturen bewusst werden. Deutsch soll nicht in Konkurrenz gegen, sondern in Koordination mit anderen Sprachen sein und das aus einem einfachen Grund: In vielen Schulen Basels ist die Mehrzahl der Schülerschaft nicht deutscher Muttersprache und bringt eine bunte Sprachbiografie mit.
Man muss das System umbauen! Es ist nämlich schon lange bekannt, dass für einen guten Deutscherwerb und eine harmonische Identitätsentwicklung dieser Kinder und Jugendlichen der Brückenschlag zu ihrer ersten Sprache ganz wichtig ist. So wenig wir die Mundart aus der Schule ausklammern, so wenig sollten also die Muttersprachen ausgeklammert werden. All das versuchen wir seit zwei Jahren in der Orientierungsschule (Dreirosen, Gundeldingen und Sandgrube) mit dem Projekt «Sprach- und Kulturbrücke» umzusetzen. Was wir konkret machen? Ganz einfach: Wir arbeiten zusammen, und mit «wir» meine ich die Schweizer Kollegen und die fremdsprachigen Lehrkräfte.
Ich schliesse meine Ausführungen mit den Worten eines der wichtigsten Schweizer Schriftsteller, Friedrich Dürrenmatt:
«Die Welt ist grösser als das Dorf; über den Wäldern stehen die Sterne.»