Tischrede von Dr. med. Guy Morin, Regierungspräsident Basel-Stadt 2009-2013, am Bärenmähli 2009
Der Siebenschläfer hat eine Flöte. Der Bär hat ein weiches Kissen. ? «Wollen wir tauschen?» Aber die Bärentatzen sind zu gross für die Flöte des Siebenschläfers. Und wenn der Bär versucht zu flöten, kann sich der Siebenschläfer bei dem Gequietsche nicht ausruhen.
Was ist die Lösung? Weiter tauschen: Flöte gegen Musik, Bärentanz gegen Glückskiesel, Glückskiesel gegen Nüsse.
Nach vielen Versuchen haben sie eine Lösung gefunden, die für beide stimmt.
Zusammengefasst heisst das: «Für dich ein Gewinn, für mich ein Gewinn.»
Liebe Bärengesellschaft, liebe Quartierbewohnerinnen und -bewohner, liebe Kinder, liebe Gäste,
Diese Szene, die ich Ihnen erzählt habe, stammt aus dem Basler Kinderbuch «ich mit dir, du mit mir» von Lorenz Pauli und Kathrin Schärer.
«Für dich ein Gewinn, für mich ein Gewinn»: Diese Zeile hat mir beim Durchblättern ganz besonders zu denken gegeben. Anfang 2009 wär?s wohl passender zu sagen: «Für dich ein Verlust, für mich ein Verlust.»
Die globale Finanzkrise prägt die Stimmung. Der Strudel der Rezession hat auf dem Stimmungsbarometer eine starke Sogkraft gegen unten. Gute Wünsche und Vorsätze zum Neuen Jahr sind in einer solchen «Krisenstimmung» schwierig.
Begriffe wie Durchhaltewillen, Behauptungswillen, Tüchtigkeit sind darum auch umso beliebter. Bei manchen Neujahrsansprachen hat man das Gefühl, als würden nur die altbewährten Rezepte wie Wachstum, Business as usual, Konsum as usual, Konjunkturprogramme usw. uns aus der «Krise» herausbringen können.
Wie wäre es da, wenn man die Krise als Chance nutzt? Zugegeben: Krise als Chance ist inzwischen eine Ratgeber-Floskel geworden. In Bezug auf die globale Finanzkrise lohnt es sich jedoch, diesem Ausspruch auf den Zahn zu fühlen. Man muss sich doch fragen: Müssen nicht grundsätzlich neue Lösungsansätze gefunden und neue Strategien entworfen werden, um die Finanzen und die Wirtschaft über lange Sicht hinaus wieder ins Gleichgewicht zu bringen? Ist heute nicht mehr denn je Innovation gefragt?
Bertrand Piccard hat in der Radiosendung «Fokus» am Montag vor einer Woche gesagt: Um eine akute Krise zu bewältigen, muss man den Mut aufbringen, intellektuell eine 180-Grad-Kehrtwende zu vollziehen. Man muss das Gegenteil von bewährten Lösungen, Lehrmeinungen und Glaubenssätzen in Betracht ziehen. Nur wenn man diesen Mut und diese geistige Beweglichkeit aufbringt, hat man das ganze Spektrum von Lösungen im Visier.
Einige Finanzmanager haben den Satz vom Bär und vom Siebenschläfer umgedreht. Bei Ihnen hat gegolten: «Für mich ein Gewinn, für dich ein Gewinn.» Ihr Gewinn, Ihr Profit, ihr Bonus ist das Ziel gewesen. Dabei sind sie unverantwortliche Risiken eingegangen. Wohl im Wissen darum, dass die Allgemeinheit die Risiken tragen würden.
Experimentieren wir mit Piccard weiter, dann heisst der Satz «Für mich ein Gewinn, für dich ein Gewinn» 180 Grad umgedreht: «Für dich ein Gewinn, für mich ein Gewinn.» Oder anders gesagt: Was für den Anderen ein Gewinn ist, ist auch für mich ein Gewinn. Das Wohl der Anderen darf nicht vergessen werden. Aber wer sind sie eigentlich, «die Anderen»?
Es sind:
- die Allgemeinheit
- unser Gemeinwesen
- die Werktätigen
- die Fremden
- die Andersgläubigen
- die Andersdenkenden
- unsere Nachbarländer
- die Drittweltländer
- die Umwelt
«Für dich ein Gewinn, für mich ein Gewinn» müsste den Finanzmanager veranlassen
- auf nachhaltige Produkte zu setzen,
- Arbeitsplätze zu sichern,in sogenannte «greentech» zu investieren,
- in Kleinkredite für die Selbstversorgung in den Drittweltländern zu investieren.
Für unseren Finanzplatz könnte dies heissen: Wir bekämpfen offensiv die Steuerhinterziehung und den Steuerbetrug. Steuerfluchtgelder interessieren uns nicht. Ich bin überzeugt: Wir würden damit etwas zurückgewinnen, was wir verloren haben: Vertrauen und Glaubwürdigkeit.
Im Bezug auf unseren Finanzplatz kann man sagen: Das Vertrauen ist wichtiger, als Geheimnisse zu hüten. Wenn uns diese Maxime die wichtigste ist, können wir Wettbewerbsvorteile erwirken.
Für uns als Bankkundinnen, Aktionäre und Pensionskassenmitglieder würde das heissen:
- Auf Renditen im zweistelligen Bereich verzichten und uns mit 2 oder 3 Prozent begnügen.
- Die Banken und Firmen auf ihre soziale Verantwortlichkeit behaften, damit sie nur in nachhaltige Produkte investieren.
ch schliesse den Bogen und komme noch einmal auf die Geschichte vom Siebenschläfer und vom Bären zurück: Mit Bärentatzen kann man keine Flöte spielen. Der Siebenschläfer spielt mit seiner Flöte die Musik und gibt den Takt an. Der Bär tanzt dazu. Nur zusammen können sie den Bärentanz aufführen und gewinnen Glückskiesel und Nüsse.
Das Zusammenspiel von Staat und Wirtschaft ist sensibel. Totale Deregulierung erzeugt Misstöne und Missstimmungen. Übertriebene Regulierung blockiert. Im Dialog zwischen Staat und Wirtschaft, zwischen Aufsicht und freiem Markt entstehen die Musik und der Bärentanz. Die Musik und der Bärentanz kennen Regeln und Freiheiten. Der Siebenschläfer und der Bär sind beide gleich wichtig. Beide müssen ihre Fähigkeiten und ihre Grenzen kennen. Ich bin überzeugt: Mehr Aktionärsdemokratie und Transparenz tut unserer Wirtschaft gut.
Der Bärentanz wird heute zum elften Mal im Kleinbasel getanzt. Es ist ein fröhlicher Tanz. Es ist der Tanz von der Andersartigkeit, der Tanz, der die 180- Grad-Kehrtwende vollzogen hat. Ich bin sicher: Vom Bärentanz im Kleinbasel und von der Bärengesellschaft werden noch sehr viel wertvolle Anregungen und Impulse kommen, die unsere Bevölkerung anspornen, eine 180-Grad-Kehrtwende zu vollziehen.
Ich danke den Initiantinnen und Initianten im Namen des Regierungsrates ganz herzlich für ihr Engagement. Am Bärentanz im Kleinbasel denkt man an die Anderen. Sie setzen sich für die Integration der ausländischen Bevölkerung ein; sie organisieren mit der Bärennacht ein sinnvolles Freizeitprogramm für Jugendliche jeglicher Herkunft; sie engagieren sich für sozial Benachteiligte; sie setzen sich dafür ein, dass die Bevölkerung mitwirken und mitbestimmen kann, wie ihr Quartier aussieht. Der Bär gehört zum Kleinbasel wie der Vogel Gryff, der Leu oder der Wilde Maa.
«Ich mit dir und du mit mir, das sind wir.» So heisst es im Gedicht von Irmela Brender. Der Titel des Basler Kinderbuchs von Laurenz Pauli und Kathrin Schärer bezieht sich auf diese Zeile. Ich empfehle dieses Buch allen wärmstens zur Lektüre.