Tradition mit Zukunft
„Mit der Gründung der Gesellschaft zum Bären haben Sie dafür gesorgt, dass künftige Generationen im Zusammenhang mit dem Bärentag im Kleinbasel von Tradition sprechen können. Tradition verbindet Gegenwart und Vergangenheit; und wenn Tradition nicht Selbstzweck ist, sondern Mittel zum Zweck, hilft Tradition auch mit, Zukunft zu gestalten.“ So begrüsste Nationalrat Christoph Eymann mehrere hundert Gäste am Bären-Mähli am 12. Januar 2000. In der Gesellschaft zum Bären sind Frauen ebenso erwünscht wie Personen ausländischer Herkunft. Sie bindet damit zwei wichtige Bevölkerungsgruppen ein, die bei den Gesellschaftern zum Greifen, zum Rebhaus und zur Hären fehlen – was viele Gemüter bewegt und vor allem junge Vorstände der traditionellen Vereinigungen veranlasst, über Reformen nachzudenken. Das zeigte sich etwa beim vorzeitigen Rücktritt eines Meisters, der im Februar 2000 den Vorsitz der drei zunftähnlich organisierten Ehrengesellschaften (3 E) abgab, nachdem er vier Jahre zuvor in die Schlagzeilen geraten war. Der Meister hatte in seiner Bankettrede am höchsten Kleinbasler Feiertag, dem Vogel Gryff, das Anwachsen der Bevölkerung ausländischer Herkunft in einer Weise problematisiert, welche die Stiftung gegen Rassismus sowie zahlreiche Persönlichkeiten zum Protest veranlasste – und zur Gründung der Gesellschaft zum Bären führte.
Legende und Wirklichkeit
Auf den 22. Juni 1998 lud das ärztliche Team der Kleinbasler Hammer-Praxis zu einem besonderen Fest ein: Ambros Isler, Christian Ott, Doris Segesser und Peter Tschudi, alle gleich alt, feierten am Rheinufer unter der Johanniterbrücke ihren 50. Geburtstag. Die Gäste staunten nicht schlecht, als kurz vor Mitternacht ein grosser, schwarzer Bär aus dem Fluss trottete und, von Trommelwirbel und Büchelklang begleitet, zu tanzen begann. Nach einer Legende waren früher am Festtag der 3 E der Leu, der Wild Maa und der Vogel Gryff mit einem vierten Gesellen, dem Bären, unterwegs. Ob er wirklich in den kalten Rhein geworfen wurde, wie die Legende erzählt, ist ungewiss. Die Akten sind unauffindbar. Und wichtiger ist ohnehin, was heute geschieht.
Renaissance der Solidarität
Die heutige Gesellschaft zum Bären fördert integrative Projekte im Kleinbasel. Sie stösst auf gute Akzeptanz. 1999 war sie der Sujet-Renner der Basler Fasnacht. Die Brauerei „Unser Bier“ vermarktet bereits ein spezielles „Bärenbräu“. Die drei Ehrenzeichen gehen mit dem Tanz des Wild Maa bis ins Klingental. Der Bär ist mehr im Unteren Kleinbasel daheim. Es gibt aber auch einzelne Mitglieder der Drei Ehrengesellschaften, die bei der Gesellschaft zum Bären mittun. Vor hundert Jahren stellte der Soziologe Ferdinand Tönnies einen Wandel von der persönlichen Gemeinschaft zur Gesellschaft fest. Er kritisierte das anonyme Stadtleben und regte soziale Reformen an. Sein Denken wurde aber missbraucht zur Propagierung einer ausgrenzenden Volksgemeinschaft. Auch heute kommt – infolge rezessiver Einbrüche und rascher Umwälzungen – in der einheimischen Bevölkerung eine gefährliche Sehnsucht nach Ruhe und Ordnung auf. Die Verunsicherung stärkt das Vertrauen in autoritäre Kräfte. Sie fördert bei den Haltsuchenden die Bereitschaft, zu simplifizieren statt zu differenzieren. Um so wichtiger ist es, inkerkulturelle Formen der Kooperation zu entwickeln, die sich am mündigen Ich orientieren. Die Gesellschaft zum Bären versucht, diesen Weg zu gehen. Sie trifft dabei auf zahlreiche Verbündete unterschiedlicher Herkunft, die – nicht aus Zwang, sondern frei gewählt – den sozialen Zusammenhalt suchen. Das ist erfreulich; vielleicht sogar ein Zeichen für eine Renaissance der Solidarität.
Ueli Mäder