Tischrede von Guy Krneta,freier Schriftsteller in Basel, am Bärenmähli 2012
Liebe Anwesende, liebe Feiernde
Es ist mir eine grosse Ehre, hier sprechen zu dürfen. Als ich dafür angefragt wurde, meinte ich, es würden mehrere Tischreden gehalten, wie das offenbar früher der Brauch gewesen war. Ich dachte, ich würde aufstehen und eine kleine Geschichte erzählen, wie ich das öfter mache. Die Aufgabe, auf einmal quasi als Haupt-Redner dem Abend ein feierliches Gewicht geben zu müssen, macht mich verlegen und weniger verspielt, als ich das gerne wäre.
Ich wurde, meine ich, nicht zuletzt eingeladen als einer der Initianten der Aktion Rettet-Basel! Rettet-Basel war ein Aufruf, ein Zwischenruf in einer Situation, die uns Kulturmenschen bedrückte und heute genau so bedrückt wie vor zwei Jahren. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich festhalten, dass Rettet-Basel! keine Privataktion von mir ist, sondern dass der Verein Kunst+Politik dahinter steht, der zur Zeit rund 300 Künstlerinnen und Künstler vereint. Rettet-Basel! wird von Alfred Schlienger, Ruedi Bussmann, Bärni Bonjour, Mathias Knauer und mir durchgeführt.
Manche Journalisten haben sich darüber lustig gemacht, dass ausgerechnet ein Berner mit einem solch anmassenden Slogan hausieren würde. Im vergangenen Jahr habe ich etliche Post erhalten von Menschen, die Basel aus ganz anderen Gründen bedroht sehen und sich an uns wandten. Solche Missverständnisse mussten wir einige Male aufklären.
Die Entstehung des Namens Rettet-Basel! war pragmatisch. Wir haben uns an den vergleichbaren, politisch weniger aufgeladenen Aktionen „Rettet den Tagi!“ und „Rettet den Bund!“ orientiert und auch die vom Filmemacher Mathias Knauer in Zürich dafür entwickelte Software benutzt. Der Arbeitstitel hiess „Rettet Basel publizistisch!“. Als es auf einmal los ging, haben wir die Sache aufs Notwendige gekürzt. Bei allem Pathos scheint mir der Titel heute richtiger denn je, denn es geht um nichts weniger als um die Gestaltung von Öffentlichkeit. Basel steht hier nicht für eine chauvinistische Weltsicht, sondern für einen konkreten real bestehenden Ort des Zusammenlebens, das möglichst demokratisch gestaltet werden soll. Dafür kämpft Rettet-Basel! Und dafür kämpfen viele von Ihnen hier im Saal.
Ich bin, wie Sie nun also wissen, in Bern geboren und aufgewachsen. Mit dreiundzwanzig ging ich ans Theater, unter anderem ans Theater Basel, wo ich Regieassistent wurde in der letzten Spielzeit von Horst Statkus. Nach einigen Jahren als Dramaturg und Co-Theaterleiter zuerst in Bern, dann in Esslingen bei Stuttgart, Braunschweig und schliesslich in Aarau bin ich vor neun Jahren gewissermassen auch aus Theatergründen als freier Autor mit meiner Familie in Basel ansässig geworden. Ich gehöre, wenn ich meinen Lebenslauf betrachte, zu jenen Menschen, die dahin ziehen, wo sie Arbeit haben. Und ich bin also, wenn Sie so wollen, ein Wirtschaftsflüchtling.
Seit ich geboren bin, bin ich Schweizer, doch ich habe es nie als selbstverständlich empfunden, Schweizer zu sein. Noch ferner wäre mir gelegen, darauf stolz zu sein oder es in irgend einer Weise zu meinem Verdienst zu machen. Ich wusste immer, dass mein Grossvater, dessen Nachname ich trage, 1923 aus dem damaligen Jugoslawien in die Schweiz eingewandert war. Er wäre nach heutiger Terminologie ein bosnischer Serbe aus Kroatien gewesen. Später wurde er, zusammen mit seiner Schweizer Ehefrau, die ausgebürgert wurde, staatenlos.
Während dem Weltkrieg sollte mein Grossvater dem Marschbefehl seines serbischen Königs Folge leisten. Doch angeblich verhinderten Gläubiger in der Schweiz, bei denen er Schulden hatte, seine Ausreise. Das habe ihm, so wird die Geschichte erzählt, das Leben gerettet. Und ich denke: Was waren das für Zeiten, als einem Schulden noch das Leben retteten?
Seit einigen Wochen besuche ich im Rahmen des von Anni Lanz initiierten Solinetzes einen Gefangenen im Ausschaffungsgefängnis. Der Mann ist zweiundsiebzig Jahre alt, lebt seit zweiundvierzig Jahren in der Schweiz, hat hier Frau und Tochter, hat auch AHV, Pensionskasse und IV-Rente und soll in den nächsten Tagen nach Serbien ausgeschafft werden. Im Unterschied zu den meisten Insassen des Ausschaffungsgefängnisses, deren einziges Vergehen darin besteht, dass sie das Land, in dem sie geboren wurden, verlassen haben, hat dieser Mann ein schweres Delikt begangen. Dafür wurden er mit mehreren Jahren Gefängnis bestraft. Ein Drittel seiner Haftstrafe wurde ihm – der vorher nicht vorbestraft war – erlassen. Doch wenige Tage vor seiner definitiven Entlassung wurde er ins Ausschaffungsgefängnis gebracht, wo er mittlerweile seit rund fünf Monaten ausharrt.
Das Gericht hatte in seinem Urteil einen Landesverweis noch explizit ausgeschlossen, doch die Verschärfungen des Rechts unter Bundesrat Christoph Blocher machen eine solche Ausweisung nun auch ohne entsprechenden Gerichtsentscheid möglich.Diese Geschichte eignet sich nicht für öffentliche Empörung. Dem Unrecht, das hier von Staates wegen verübt wird, würde immer das Unrecht, das dieser Mann mit seinem Delikt begangen hat, entgegen gehalten. Doch es gibt keine Begründung für das Unrecht, dass hier ein Mensch von den Behörden dafür bestraft wird, dass er Serbe ist, und Behörden eine Strafverschärfung anordnen können, welche das Gericht explizit ausgeschlossen hatte. Wir leben in einer Gesellschaft, die es gewohnt ist, auf Knöpfe zu drücken, die heissen „gefällt mir“ oder „gefällt mir nicht“. Rechenschaft darüber ablegen, auf welcher Grundlage so ein Entscheid gefällt wird, muss sich niemand. Und die Folgen bleiben uns verborgen.
Wenn ich das Ausschaffungsgefängnis besuche, erschüttert mich jedes Mal die Reibungslosigkeit der Ausschaffungen. Diese weissen Kleintransporter der Firma Securitas mit ihren abgetönten Scheiben. Dass wir den Menschen, denen wir das Recht nicht zugestehen, hier zu bleiben, nicht einmal ins Gesicht schauen müssen. Es gibt sie gar nicht, diese Menschen als Menschen in der öffentlichen Wahrnehmung, es gibt sie nur als Statistik, welche unser subjektives Sicherheitsempfinden stört. Als Opfer, die wir gerne bringen, um uns die Frage nicht stellen zu müssen, warum wir meinen, berechtigt zu sein zur Privilegiertheit.
Ein Viertel aller Ausgeschafften kehrten zurück, habe ich erfahren. Ich weiss nicht, ob die Zahl stimmt, ich gebe wenig auf Zahlen, wenn von Menschen die Rede ist. Sie tauchten unter, die Zurückgekehrten, bis sie wieder aufgegriffen und wieder ausgeschafft würden. Viele der derzeit Ausgeschafften kämen aus Tunesien und würden als Folge der Schengen-Abkommen nach Rom geschafft, wo sie bei Minustemparaturen in überfüllten Pärken und auf der Strasse hausten. In den letzten Wochen kaufte das Solinetz die Basler Brockenhäuser leer, um wenigstens einigen Ausgeschafften Schlafsäcke mit auf die Reise geben zu können.
Doch nicht nur in Rom leben die Menschen unter widrigsten Umständen, sondern in unserer nächsten Umgebung. Anni Lanz hat gestern die Zivilschutzanlage unter dem Postgebäude in Augst besucht und in einem Mail ihre Eindrücke festgehalten: Elf Männer seien aktuell dort untergebracht. Die Anlage sei immer offen, es gäbe keine Betreuung, keine Reinigung, keine abschliessbaren Schränke. Die Anlage sei nicht geheizt, die Untergebrachten erhielten zwei schmuddlige Decken und schliefen Körper an Körper, um nicht allzu sehr zu frieren. Die Anlage werde von der Firma ABS Betreuungsservice in Pratteln betrieben, welche einmal in der Woche auftauche, um jedem Anwesenden Fr. 56.- in die Hand zu drücken.
Gerne würde ich erfahren, was die Firma ABS ihrerseits für ihren angeblichen Betreuungsservice kassiert. Doch wer stellt solche Fragen? Mit welchem Interesse? In der TagesWoche, auf die wir alle grosse Hoffnungen gesetzt haben, können wir heute einen ausführlichen Bericht über den angeblichen Sieg der Bevölkerung in Bettwil lesen. Ich spreche nicht von Bettwil, ich spreche von den Medien.
Die Situation, wie wir sie seit zwei Jahren in Basel erleben, ist fatal. Und blockiert dringend nötige Auseinandersetzungen. Wir wissen alle, dass Christoph Blocher die Basler Zeitung direkt und indirekt gekauft hat und auch heute zu 100% beherrscht. Die angeblichen Besitzer tragen kein Risiko, Blocher kommt für sämtliche Verluste auf. Die Garantie bezieht sich nicht bloss auf den Druckbereich, wie Tito Tettamanti gelegentlich behauptet, sondern aufs ganze Unternehmen. Das hat mir übrigens auch einer der neuen Aktionäre, Georges Bindschedler, der mit 5 Mio. am Unternehmen beteiligt ist und keine Verluste machen will, in einem autorisierten Interview bestätigt. Was Christoph Blocher mit seinen Medien vorhat, haben wir in den letzten Tagen, bei der so genannten „Hildebrand-Affäre“, einmal mehr eindrücklich erlebt. Es geht nicht um Journalismus. Es geht um politische Kampagnen mit scheinbar journalistischen Mitteln.
Wenn wir glauben, die BaZ sei keine Weltwoche, solange Helmut Hubacher noch schreiben könne, was er wolle, lassen wir uns Sand in die Augen streuen. An uns liegt es, ob die BaZ als Blochersches Kampfblatt in Basel Normalität wird. Wir haben es in der Hand, sie zu boykottieren: als Lesende, als Zutragende, als Mitarbeitende. Wir können uns als Gesprächspartner verweigern, wir können die BaZ abempfehlen, wir können uns wehren mit List und Lust. Und an uns ist es, die Alternativen auf dem Platz Basel zu stärken: Die TagesWoche, nicht nur mit Sympathie, sondern auch mit Kritik, den Basler Sonntag und vor allem die bz Basel. Noch ist die bz Basel keine Alternative. Aber offenbar sind die AZ Medien gewillt, sie wirklich als solche im nächsten halben Jahr aufzubauen. Das ist eine weitere Hoffnung.
Sie und ich sind hierher gekommen, um zu feiern. Und wir wollen uns das Feiern nicht nehmen lassen. In Basel gibt es an vielen Orten eine hohe Kultur des Zusammenlebens. Was vielen von uns einen angenehmen Alltag möglich macht. Darauf stossen wir heute an. Das feiern wir.
Ich danke Ihnen herzlich.