Tischrede von Xhezide Kuçi-Lumi, Albanerin in Basel, am Bärenmähli vom 11. Januar 2002
Ich beginne meine Rede mit einer albanischen Fabel: An einem Wintertag ging der Holzfäller zum Holzhacken. Es schneite so fest, dass er nicht mehr ins Dorf zurückkehren konnte. Im Wald stiess er auf einen Bären und bettelte: „Friss mich nicht!“ – „Wie so bist du an diesem kalten Abend hier in den Wald gekommen?“ – „Weil ich kleine Kinder habe, aber kein Holz mehr im Haus.“
„Schläfst du neben mir?“ – „Ich habe Angst, weil du mich im Schlaf fressen könntest.“ – Der Bär versprach, dass er das nicht tun werde. „Une ta jap besen“ (ich gebe mein Wort). In dieser Nacht schlief der Holzfäller neben dem Bären. Am Morgen sagte der Bär zu ihm: „Steig auf meinen Rücken, ich bringe dich in die Nähe des Dorfes.“
Der Holzfäller erzählte allen im Dorf, dass er neben einem Bären geschlafen habe. Es sei sehr bequem und warm gewesen, nur etwas habe ihn gestört: der Bär habe sehr gestunken. Das ganze Dorf lachte. Der Bär stand unbemerkt hinter einem Baum und hörte alles, was der Holzfäller über ihn sagte.
Der Bär ging ins Dorf hinein. Alle Bewohner flohen, als sie den grossen Bären sahen, nur der Holzfäller blieb stehen, weil er keine Angst vor ihm hatte. Der Bär befahl ihm: „Nimm deine Axt und schlag mir auf das Bein.“ – „Nein, das kann ich nicht tun.“ – „Tu, was ich dir sage, sonst fresse ich dich auf!“ Da tat der Holzfäller wie ihm befohlen. Und er sagte: „Es tut mir leid, ich wollte das nicht tun, aber du hast es von mir verlangt.“ Der Bär erwiderte: „Das tut nicht so weh, das heilt bald wieder; aber was du über mich gesagt hast, hat mich tief verletzt.“
Wegen der integrationistischen Bedeutung für mich möchte ich Euch ein paar Sätze sagen, die mir am Herzen liegen. – Ein Zusammengehörigkeitsgefühl kann sich nur entwickeln, wenn die Mitglieder einer Gemeinschaft untereinander Kontakt pflegen. Ich nutze die Gelegenheit, die politischen Instanzen zu bitten, für eine offene Politik gegenüber den Ausländern einzutreten, Mut zu machen, positives Verhalten zu belohnen, Gefühle anzuerkennen, einen Vertrag zu schliessen, Gespräche zu führen: Was muss sich ändern? Wo liegt das Problem? Was wollen wir anders machen?
Wenn jeder sich auf seine eigene Gruppe konzentriert und die Mitglieder der „Fremdgruppe“ für minderwertig hält, birgt das Stoff für Gruppenkonflikte.
Wenn wir Ausländer erreichen, dass wir uns nicht als fremde Gruppe identifizieren, sondern durch Arbeit an der Integration in dieser Gesellschaft ein Wir-Gefühl entwickeln und vom Umfeld beachtet und akzeptiert werden, haben wir ein wichtiges Ziel erreicht. Für das geistige Gleichgewicht der Ausländer ist es nötig, das Gefühl zu entwickeln und zu pflegen, dass wir unseren Platz in dieser Gesellschaft einnehmen, eine Funktion ausüben, und dass wir – wie die anderen – für die Schweizer Gesellschaft nützlich sind. – Auf Albanisch sagt man: „Ndihuni si ne shtäpin tuaj.“ – Auf Deutsch: „Fühlt Euch wie zu Hause.“